Kurz vor zwölf – wie sich die Welt selbst bedroht

Wie nah sind wir dem Weltuntergang? Das versucht ein Expertengremium jedes Jahr einzuschätzen und mit der sogenannten Doomsday Clock anschaulich zu machen. Sie zeigt an, wie hoch die Gefahr durch nukleare Waffen, Klimawandel und weitere Bedrohungen auf der Welt ist. Mitternacht bedeutet: Weltuntergang.

Die Uhr steht heute bei 90 Sekunden vor 12 – so kurz vor Mitternacht wie nie. Hauptgrund dafür ist das Risiko, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine weiter eskaliert.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ist die Welt der Apokalypse immer mal näher und wieder weiter entfernt.

1947

Vor 76 Jahren präsentiert das Bulletin of the Atomic Scientists erstmals atomare Gefahr anhand einer Uhr. Kreiert wird sie von der Künstlerin Martyl Langsdorf. In ihrem Design steht die Uhr auf 7 vor Mitternacht – weil es ihr so richtig vorkommt.

Zwei Jahre später wird die Uhr neu gestellt.

29. August 1949,
Semipalatinsk, Kasachstan

Nach dem Zweiten Weltkrieg testet die Sowjetunion unter Stalin Kernwaffen nach amerikanischem Vorbild: „RDS-1“ explodiert im heutigen Kasachstan.

Die Sorge vor einer Eskalation wird weltweit größer. Die Weltuntergangsuhr wird auf drei Minuten vor Mitternacht umgestellt.

1952/53

Die USA zünden mit „Ivy Mike“ eine Weiterentwicklung der Atombombe, die erste Wasserstoffbombe, im Eniwetok-Atoll im Pazifischen Ozean. Die Antwort der Sowjetunion folgt einige Jahre später mit einer eigenen Wasserstoffbombe, am 30. Oktober 1961:

Die sogenannte „Zar-Bombe“ gilt als stärkste jemals von Menschen verursachte Explosion.

Die sogenannte „Zar-Bombe“ gilt als stärkste jemals von Menschen verursachte Explosion.

Wasserstoffbomben bauen auf der vorherigen Technologie auf. Sie werden mithilfe einer Atombombe gezündet, sind aber noch wesentlich zerstörerischer.

1962/63

Während der Kuba-Krise (1962) steht die Welt kurz vor einem Atomkrieg – der Höhepunkt des Kalten Krieges. Deeskalierend wirkt ein Vertrag ein Jahr später.

Der „begrenzte Atomteststoppvertrag“ regelt: Keine Versuche mit Kernwaffen in der Atmosphäre, im Wasser oder unter Wasser – dazu verpflichten sich die USA, Großbritannien, die Sowjetunion und Deutschland.

1968

Der Vietnamkrieg verhärtet den Konflikt zwischen den Weltmächten USA und der Sowjetunion mit seinem Verbündeten China.

Mehrfach wird mit dem Einsatz atomarer Waffen gedroht.

1969/70

Der Atomwaffensperrvertrag tritt am 5. März 1970 in Kraft. Die Unterzeichner: die USA, die Sowjetunion, Großbritannien sowie 40 weitere Staaten.

Die Ziele: die Verbreitung von Atomwaffen verhindern, Abrüstung vorantreiben und für größere globale Sicherheit sorgen.

1980–1984

In den 1980er-Jahren zeichnet sich ein atomares Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion ab.

Die Reaktion darauf: Millionen Menschen gehen weltweit für Abrüstung auf die Straße.

Im September 1983 melden sowjetische Satelliten den Abschuss von US-amerikanischen Atomraketen mit Ziel Russland. Der russische Oberstleutnant Stanislaw Petrow stuft die Situation als Fehlalarm ein und verhindert so einen Nuklearangriff.

Die Kommunikation zwischen den Mächten verstummt, die USA setzen unter Reagan auf eine „Politik der Stärke“ und Verhandlungen über die Rüstungskontrolle werden eingestellt.

1987/88
Kehrtwende: Unterzeichnung des INF-Vertrags

Es ist ein historischer Moment, als die einst verfeindeten Großmächte USA und Sowjetunion Ende der 1980er-Jahre den Abrüstungsvertrag INF abschließen.

Sie verpflichten sich, eine Reihe von nuklearen Mittelstreckenwaffen abzuschaffen.

1991

Der Kalte Krieg ist beendet.

George Bush (USA) und Michail Gorbatschow (Sowjetunion) unterzeichnen einen Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen. Ende des Jahres zerfällt die Sowjetunion.

2002

US-Präsident George W. Bush sagt nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York dem internationalen Terrorismus den Kampf an.

In den darauffolgenden Jahren spitzt sich ein Konflikt um den Besitz von Atomwaffen zwischen den USA und dem Iran zu.

Noch immer sind zudem Zehntausende nuklearer Waffen vor allem im Besitz der USA und Russland.

2006/07

Nordkorea verkündet, erfolgreich einen Atomtest durchgeführt zu haben und wird dafür international verurteilt. Ein Atomkrieg zwischen den USA und Russland könnte immer noch in nur wenigen Minuten ausgelöst werden. Der Iran wird weiterhin verdächtigt, Atomwaffen kaufen zu wollen.

Klimawandel tickt mit bei Doomsday Clock

Die Doomsday Clock bezieht nun auch den Klimawandel als zusätzliche Bedrohung für die Menschheit mit ein.

2017–2019

Im Sommer 2017 verabschieden die Vereinten Nationen den sogenannten Atomwaffenverbotsvertrag. Er verbietet es allen Unterzeichnenden, Atomwaffen zu entwickeln, zu besitzen, zu stationieren oder zu finanzieren. Das Problem: Unter den Unterzeichnern ist keine einzige Atommacht.

Seit dem Amtsantritt des US-Präsidenten Donald Trump schätzen die Atomwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die Gefahr eines Atomkriegs zudem als noch größer ein.

Trump droht noch im gleichen Jahr indirekt mit einem Atomwaffeneinsatz gegen Nordkorea.

In den kommenden Jahren spitzt sich zudem ein Streit um das 1987 beschlossene Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Russland zu. Die USA erklären 2019 ihren Rückzug aus dem INF-Vertrag.

2020

Etwa 13.400 Atomwaffen sind im Besitz von folgenden Staaten: China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan, Russland und den USA.

Die Uhr steht auf 100 Sekunden vor 12, denn zwei Gefahren kommen zusammen: Atomkrieg und Klimawandel.

2021

Covid-19 fließt in die Risikobewertung ein. Die Fachleute prangern an, dass die Welt auf eine Pandemie nicht vorbereitet gewesen sei und wissenschaftlichen Rat zu oft ignoriere.

2023

Der Ukraine-Krieg rückt die Uhr so nah an Mitternacht wie nie zuvor. „Es gibt keinen klaren Weg, wie wir einen gerechten Frieden schaffen können“, sagt Rachel Bronson, Präsidentin des Bulletin of the Atomic Scientists. Das Risiko eines nuklearen Krieges – durch Zufall, Absicht oder Fehleinschätzung – sei hoch. Das hätten vor allem Russlands Drohungen, Atomwaffen einzusetzen, gezeigt.

Einen Weg zu ernsthaften Friedensverhandlungen zu finden, könnte viel dazu beitragen, das Risiko einer Eskalation zu verringern. In dieser Zeit beispielloser globaler Gefahren ist ein gemeinschaftliches Handeln erforderlich, und jede Sekunde zählt.
Rachel Bronson, Präsidentin des Bulletin of the Atomic Scientists

Quellen:
Bulletin of the Atomic Scientists, Our World in Data, Federation of American Scientists, Bundeszentrale für politische Bildung, Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, UNODA (UN-Büro für Abrüstungsfragen), dpa, AP, KNA, AFP, Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, US-Armee

Fotos:
AP, dpa, gettyimages.com, Reuters

Redaktion:
Kathrin Wolff

Im Auftrag des ZDF:

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Sophie Gülzow, Marielle Klein, Gary Denk

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